Hermann Härtel

Nachruf für Hermann Härtel
aus: Leipziger Tageblatt vom 10. August 1875

Wenn ein Mann, der lange Jahre in einer Stadt als Vorbild eines reinen Charakters und
einer edlen Lebensführung unbestritten gegolten und segensreich gewirkt hat,
dahingeschieden ist, verdient er wohl, daß ihm einige Worte dankbaren Nachrufes
öffentlich zuteil werden.

Am 4. d. starb Hermann Härtel, Doctor der Rechte, Mitinhaber des vielverzweigten
Geschäfts Breitkopf & Härtel, Mitglied des Directoriums des Kunstvereins und des
Concertdirectoriums.

Er war am 27. April 1803 geboren, genoß eine sorgfältige Erziehung im Vaterhause,
studierte die Rechte in Leipzig und Göttingen, wandte sich aber, nachdem er die
juristische Doctorwürde erworben, vielmehr Kunstinteressen zu, die er durch einen
längeren Aufenthalt in Italien in den Jahren 1829 und 1830, dem später noch mehrere
Reisen dahin folgten, zu befriedigen suchte und dürfte seiner Neigung nach den Studien in
dieser Richtung fernerhin seine Haupttätigkeit gewidmet haben, wenn nicht das durch den
Tod seines Vaters verwaiste Geschäft den Anspruch an ihn durchgesetzt hätte, die
Führung desselben in Gemeinschaft mit seinem Bruder zu übernehmen. Unter dieser
gemeinschaftlichen Führung ist es zu der Blüthe und dem hohen Rufe gelangt, dessen es
sich heute erfreut und hat durch musikalische, literarische und industrielle Leistungen in
großem Stil den Ruf Leipzigs selbst im Auslande ehrenvoll vertreten. Bei dem Umblick, der
Treue und der Gewissenhaftigkeit, mit der er sich der geschäftlichen Interessen annahm
und der scharf geschliffenen Klarheit, die er hierbei bewies, Eigenschaften, die ihn
schienen zum Geschäftsmann prädestiniert zu haben, blieben ihm doch die Kunstinteressen
Herzensinteressen und schien er aus anderem Gesichtspunkte dafür geboren; indem sich aber
seine höhere Auffassung jeder Art von Interessen auch hier geltend machte, gingen aus der
Befriedigung derselben mehr als bloß private Folgen hervor.

Durch den Bau des sogenannten römischen Hauses, den er nach der Rückkehr von seinem
ersten Aufenthalt in Italien unternahm und zu dessen Ausschmückung mit Fresken er die
vielversprechendsten jungen Künstler zuzog, gab er den ersten Anstoß zu einer schöneren
Bauweise in Leipzig; jeder achtbare Künstler fand bei ihm gastfreie Aufnahme; nach
Maßgabe seiner Mittel unterstützte er solche selbst durch Bestellungen; als Mitglied
zweier Kunstdirectionen trug er wesentlich bei, den Geschmack an klassischer Kunst in
Musik und Bildnerei aufrecht zu halten und an sein feines ästhetisches Urteil appellierte
man gern als an ein maßgebendes. Aber nicht bloß mit bedeutenden Künstlern, auch mit
Gelehrten und jedem, der als Mensch bedeutend war, freute er sich Beziehungen anzuknüpfen
und gab in seinem Hause überhaupt ein Beispiel edler Geselligkeit, dessen Untergang die,
denen vergönnt war, daran teilzunehmen, schmerzlich empfinden werden.

Um den Grundzug seines Wesens mit einem Worte zu bezeichnen, so war es eine
Noblesse von Charakter, Geist und Gemüt, die alles Gemeine von ihm fernhielt
und alles Edle und Schöne schätzen ließ. Darin lag von selbst eine unerschütterliche
Rechtschaffenheit und innere Wahrheit eingeschlossen. In politischen Ansichten
war er gemäßigt liberal; im Privatleben Aristokrat im besten Sinne; verlangte
von Untergebenen strenge Pflichterfüllung, gewährte ihnen aber dafür mehr als
wozu er verpflichtet war. Er war schroff gegen alles Gemeine und dabei doch innerlich
bescheiden. Jedes tüchtige Unternehmen konnte auf seine Unterstützung rechnen
und wie viele ungekannte Wohltaten sind von ihm ausgegangen. Erschöpfen läßt
sich ein solcher Charakter nicht. Was seine näheren Freunde und seine Familie
an ihm verloren, muß überhaupt hier unbesprochen bleiben; möge ihm aber auch
darüber hinaus unvergessen bleiben, was er dieser Stadt gewesen.