Carl Brandan Mollweide
Nekrolog auf Carl Brandan Mollweide
aus: Zeitung für die elegante Welt Leipzig, Sonnabends den 9. April 1825
Carl Brandan Mollweide, in seinem 51sten Jahre als Professor der Mathematik
zu Leipzig gestorben, war am 3. Februar 1774 zu Wolfenbüttel geboren. Sein Vater
war Registrator daselbst und wenig bemittelt. Als Knabe zeichnete sich der junge
Mollweide durch eine sehr schöne Hand im Schreiben aus, wie er auch später seine
Zuhörer oft durch die Festigkeit und Geschicklichkeit, mit der er einen vollkommenen
Kreis aus freier Hand zog, in Verwunderung setzte. Zum Rechnen und zur Mathematik
überhaupt zeigte er bis zu seinem zwölften Jahre nicht nur keine Neigung, sondern
sogar entschiedene Abneigung. Sein Talent schien plötzlich entwickelt, als er
eines Tages, ohne vorher nur die Rechen-Species zu kennen, seinem im Rechnen
begriffenen Vater zurief: "Vater, Sie haben geirrt." Von dieser Zeit
fing er denn auch an, sich eifrig mit dem Rechnen zu beschäftigen, doch nicht
sowohl durch väterlichen oder anderweitigen Unterricht geleitet, als vielmehr
durch eignes Studium von Rechenbüchern, welche er zu Hause vorfand, und von
denen das Hemmelingsche das erste war. Bald ging er zur Algebra über, und
berechnete in seinem 14ten Jahre schon eine Sonnenfinsternis.
Vom 12ten Jahre an besuchte er auch die öffentliche Schule zu Wolfenbüttel,
und zeichnete sich hier so durch seine mathematischen Kenntnisse aus, daß der
Prof. Leiste, sein Lehrer, sich bei seinen überraschenden Antworten des Ausdrucks
bediente: "Hat er denn die logarithmischen Tafeln alle im Kopfe sitzen?"
Nach vollendeten Schuljahren besuchte er die Universität zu Helmstädt, nachdem
er schon auf der Schule den Entschluß zum Studium der Mathematik gefaßt hatte,
und wurde nach dreijährigem Aufenthalte daselbst Lehrer an der dortigen Schule.
Als Knabe war er immer heiter und gesund gewesen; eifriger Fleiß und vieles
Sitzen auf der Universität indes hatten seiner Gesundheit geschadet; so daß
er nach einjähriger Verwaltung genötigt war, seine Stelle zu Helmstädt aufzugeben,
und zwei Jahr zu Hause zuzubringen, wo ihm fortdauernde hypochondrische Beschwerden,
die ihn auch später nie wieder ganz verlassen, geistige Tätigkeit unmöglich
machten. Nach Verbesserung seines Zustandes war er als Lehrer der Mathematik
und Physik ans Pädagogium zu Halle berufen, welche Stelle er 11 Jahre versah,
worauf er im Jahr 1811 nach Leipzig als Professor der Mathematik kam, und sich
1814 verheiratete. Einen Ruf, den er von hier aus nach Dorpat erhielt, schlug
er, obwohl die Annahme desselben ihm eine vorteilhaftere Lage gesichert hätte,
aus Liebe zu seinem Vaterland aus. Auch in Leipzig war er bei unermüdlicher
Tätigkeit stets kränklich, und namentlich war er oft durch Anfälle eines trockenen
Hustens beunruhigt, die endlich ein schleichendes Fieber herbei führten, welches
am 10. März seinem wirksamen Leben ein Ende machte.
Mollweide war einer der rigorosesten Mathematiker seiner Zeit, der jeden Fehler
in der mathematischen Strenge leicht bemerkte und streng rügte; daher als Rezensent
gefürchtet. Dem Euklid zollte er eine fast unbedingte Verehrung und trat stark
gegen diejenigen auf, die an seiner Methode oder seinen Beweisen etwas tadelten;
so wie er überhaupt gegen alle Neuerungen in der Methode mißtrauisch war, und
vielleicht manchmal geneigter, ihre Blößen zu bemerken und aufzudecken, als
ihre Vorzüge anzuerkennen. Wiewohl von der größten Achtung für die geometrische
Synthese der Alten erfüllt, erkannte er doch an, daß der jetzige Standpunkt
der Wissenschaften die Hilfe der neueren Analyse unumgänglich erfordere, und
verehrte als ihre hauptsächlichsten Stützen namentlich die französischen Mathematiker.
Er behandelte alle Rechnungsarten mit großer Leichtigkeit, und die Hand flog
ihm beim Integrieren auf der Tafel. Sein Vortrag war höchst gründlich, und er
wußte die Trockenheit des Stoffes geschickt zu beleben, indem er interessante
Beziehungen daran nachwies. Die Mathematik verdankt ihm zwar nicht die Auffindung
neuer allgemeiner Methoden, wohl aber die gründliche Bearbeitung und Beleuchtung
einzelner Gegenstände derselben in vereinzelten Abhandlungen und der Fortsetzung
des Kügelschen mathematischen Wörterbuches, die er übernommen, aber nicht vollendet hat.
Vorzüglich verdient machte er sich dadurch, daß er sich, wenn auch manchmal
mit etwas zu großer Bitterkeit, gegen den in neueren Zeiten herrschend gewordenen
Hang zu unbestimmten Deduktionen und unklaren mystischen Darstellungen auflehnte.
Dagegen war er mit ganzer Seele, mit Wort und Tat bemüht, ein gründliches Studium
der Wissenschaften, und namentlich der Mathematik, zu befördern; und jeder,
der eine wahre Neigung dazu zu erkennen gab, konnte sicher sein, an ihm einen
eifrigen Beförderer seiner Fortschritte zu finden. Er hat deshalb die Liebe
aller seiner Schüler, die ihn näher kannten, genossen; denn wenn ihn gleich
manchmal eine hypochondrische Stimmung etwas schroff erscheinen ließ, so zeigte
er doch im Grunde überall seinen wahrhaft wohlwollenden und stets nur das Beste
der Wissenschaft im Auge habenden Sinn. F.