Christian Hermann Weiße
Erinnerung an Christian Hermann Weiße (geb. d. 10. Aug. 1801, gest. d. 19. Sept. 1866)
aus: Leipziger Tageblatt vom 7. October 1866
Nicht um einen Lebensabriß des vor kurzem verstorbenen Leipziger Professors
Dr. Chr. H. Weiße soll es sich hier handeln, der unstreitig anderwärts von anderer
Seite gegeben werden wird, sondern nur um eine Charakteristik desselben nach
einigen Hauptzügen zur Hervorhebung dessen, was die Wissenschaft und Welt an
ihm verloren hat. Sie hat, kurz gesagt, einen Hauptvertreter der idealen Richtung
geistigen Lebens und einen Charakter im edelsten Sinne des Wortes an ihm verloren.
Seine langjährige Wirksamkeit als Lehrer, Schriftsteller, Mittelpunkt eines
großen Kreises an ihm hängender Schüler und Freunde, als eifriger und standhafter
Vertreter dessen, was er in der Wissenschaft für recht erkannte, auch im Leben,
haben ihm einen Anspruch auf Nachruhm erworben, der es wohl verdient, auch durch
einige Worte des Nachrufes bezeichnet zu werden.
Er war überhaupt ein Mann von einer seltenen Reinheit, Höhe und Ausdehnung
geistiger Interessen, und mit Ausnahme naturwissenschaftlicher und mathematischer
Studien, deren Wert er inzwischen genug zu würdigen wußte, um zu bedauern, sie
nicht mit haben umfassen zu können, kann man sagen, er hat den Gesamtkreis derselben
durchmessen. Die Schranken seines ursprünglichen Fachstudiums, welches das der
Jurisprudenz war, alsbald überschreitend, ergriff er sozusagen Besitz von den
Höhen und dem ganzen Umfang der idealistischen Philosophie, verfolgte und entwickelte
sie in allen Verzweigungen; und seine Lehrvorträge, wie zahlreiche selbständige
Schriften, Abhandlungen, Kritiken, endlich persönliche Einflüsse lassen ihn
fast ein halbes Jahrhundert lang als einen Hauptvertreter, eine Hauptstütze
und einen Hauptförderer dieser Richtung erscheinen. Wer dieser Richtung Wert
beilegt, wird auch den Wert und Verlust dieser Vertretung zu würdigen wissen;
wer andere Richtungen geht, wenigstens die Intensität der Geistesarbeit, die
Weiße in dieser Vertretung verwandte, den reinen Eifer für Wahrheit, den er
dabei betätigte, und den Erfolg, den er bei seinem Schülerkreise erzielte, anzuerkennen
haben, ein Erfolg, der um so mehr für den Gehalt und die anregende Kraft seiner
Ideen spricht, als der Vortrag derselben nicht durch äußere Vorzüge und leichte
Durchsichtigkeit unterstützt war. Ursprünglich von Schelling und Hegel ausgehend
und stets große Hochachtung für diese Begründer der neueren idealistischen Philosophie
bewahrend, blieb er auch ihrer formellen Weise, einen philosophischen Ideengang
zu begründen und zu entwickeln, im wesentlichen treu, ging aber in wichtigsten
fachlichen Beziehungen mit Selbständigkeit über sie hinaus und trat namentlich
mit Hegel in Betreff der Grundstellung und Verknüpfung der metaphysischen Ideen,
des Verhältnisses des Geistes zur Natur und des Menschen zu Gott in Gegensatz.
Um so entschiedener opponierte er dem Materialismus mit seinen antireligiösen
Tendenzen, der Herbartschen Zerstückelung der letzten Prinzipien der Dinge,
dem Schopenhauerschen Pessimismus und Determinismus, der mechanischen
Ansicht, unter welcher die neuere Physiologie das Leben betrachtet, und der
Atomistik der neueren Physik. Ja nachdem die Mehrzahl selbst der idealistischen
Philosophien dem Zwang der letzteren hat nachgeben zu müssen geglaubt, ist er
bis zu seinem Lebensende ein standhafter Gegner derselben geblieben.
Ebenso sehr als Philosoph von Fach aber war er Theologe von Fach, und namentlich
in seinen späteren Jahren vorzugsweise der Theologie zugewandt. Nicht allein,
daß er die Theologie philosophisch zu vermitteln suchte und durch religiöse
Interessen in seinen philosophischen Grundansichten mitbestimmt wurde, ging
er auch in die wichtigsten Kontroversen, welche die neuere protestantische Theologie
bewegen, als namentlich über das Wesen des Christentums und den Begriff der
christlichen Kirche, die historische Bibelkritik, die Auffassung und Darstellung
des Lebensbildes und Charakters Jesu ein, hat selbst größere Werke in dieser
Richtung verfaßt, ist einer der produktivsten Mitarbeiter an theologischen Zeitschriften
gewesen und hat sich mehrfach an theologischen Versammlungen beteiligt. Auch
wurde ihm ungesucht von Jena aus das theologische Ehrendoktordiplom zuteil.
Sein theologischer Standpunkt war gleich entfernt von starrer Orthodoxie und
bodenlosem Vernunftradikalismus, ohne daß ihn deshalb der Vorwurf der Halbheit
trifft, eher kann man ihn eines zu großen Vertrauens in die Möglichkeit zeihen,
aus dem Gesichtspunkte einer einheitlichen Grundansicht vom Christentum und
von Christi Persönlichkeit, gewiß der erhabensten, die sich fassen ließ, die
Kritik der evangelischen Geschichte auch im Einzelnen zu üben und die Lücken
derselben zu ergänzen.
Seine Grundansicht vom Christentum war die, daß, dem jüdischen Partikularismus
und der heidnischen Zersplitterung und Verweltlichung der religiösen Idee gegenüber,
die ganze Menschheit sich im Glauben an einen einigen, das Heil der Menschheit
wollenden und sie durch die Geschichte dazu führenden Gott zu vereinigen und
in der Richtung auf die höchsten und letzten Dinge, Gott und Unsterblichkeit,
selbst den allgemeinsten Einigungspunkt zu einer die Erde umfassenden Kirche
zu finden, in Christus aber den gottgesandten Stifter, Vertreter, das Zentrum
und den Lebenskern dieser Kirche zu verehren habe, als welcher die Idee allgemeinster
Einigung der ganzen Menschheit aus Gesichtspunkten, die über die sinnliche Welt
hinausreichen, zuerst mit Klarheit und Bestimmtheit ausgesprochen, durch sein
ganzes Leben durch ein sündloses Beispiel der Richtung auf das Ziel derselben
gegeben, seine Lehre durch seinen Tod besiegelt und zu einer alles überwindenden
Kraft erhoben habe, endlich, daß Christus zwar nicht als übermenschliches Wesen
im orthodoxen Sinne, aber als ein ausnahmsweises Wesen das Maß gewöhnlicher
Menschlichkeit an Reinheit, Höhe und Kraft, mit einem Wort an göttlicher Begabung,
unverhältnismäßig überschritten habe.
Irren wir nicht, so ist dies die ewige Idee des Christentums, welche allen
Streit der Konfessionen und Dogmen überdauern wird, und wir wüßten nicht, daß
sie vor Weiße in solcher Reinheit und aus so hohem Gesichtspunkte aufgestellt
worden. Jedenfalls bekennt der Verfasser dankbar, zuerst durch ihn auf den Standpunkt
derselben gehoben zu sein. Möchte Weißen dieser Dank auch da gezollt worden
sein, wo er am meisten am Platze war und ihm wohl am wenigsten geworden ist,
im Gebiete der christlichen Theologie selbst.
Zu seinen eigentümlicheren Ansichten gehörte, daß nur Menschen von geistiger
Bedeutung oder kernhaftem Wesen der Unsterblichkeit teilhaftig wären, unbedeutende
marklose Seelen zerflössen. Sie waren schon hier nicht für ihn vorhanden, und
er selbst hat freilich nichts bei dieser Ansicht gewagt. Unter andern findet
sich diese Ansicht, und zwar in frischester, poetischer Darstellung, in einem
kleinen, selten gewordenen Büchlein: "Theodicee" (1834) unter dem
Autornamen Nikodemus von ihm ausgesprochen.
Es gab noch ein drittes Fach, was Weiße so ausfüllte, als ob es das einzige
wäre, was er auszufüllen hätte, das der Ästhetik. Als Ästhetiker bezeichnen
ihn nicht nur seine Lehrvorträge über allgemeine Ästhetik an der Universität,
gelegentliche Vorträge über speziellere ästhetische Gegenstände im Leipziger
Kunstverein, ein umfassendes Lehrbuch der Ästhetik und kleinere Schriften und
Abhandlungen aus diesem Gebiete; sondern namentlich erschien er auch in dieser
Eigenschaft in seinem persönlichen Verkehr, indem er selbst den Umgang mit Künstlern
schätzte, suchte und sich vorzugsweise gern über allgemeine ästhetische Fragen
wie besondere Kunstgegenstände unterhielt. Auch in der Ästhetik ging er von
höchsten Gesichtspunkten aus, sah namentlich in der schöpferischen Tätigkeit
des Künstlers nur eine Fortsetzung der schöpferischen Tätigkeit Gottes und suchte
das Wesen der Schönheit in einer Betätigung der Phantasie seiten des Schaffenden
wie Genießenden, welche den Sinn des göttlichen Schaffens einhalte. Hierin schloß
er sich nahe an Solger an, ohne doch ganz in dessen Ansichten hineinzutreten.
In allen Zweigen der Kunst, als namentlich in Poesie, Malerei, Plastik, Architektur,
Musik, Schauspielkunst war er mit seinem Interesse, in mehreren auch mit tiefer
gehenden Studien zu Hause, und überall war es der Geschmack am Klassischen,
der ihn beseelte. Im Ganzen ältere Meister und Muster vorziehend, folgte er
doch auch neueren Leistungen mit lebendiger Teilnahme. Er machte keine Reise
ohne ein Bändchen der alten Tragiker, oder von Goethe, Shakespeare oder sonst
einem der immer neu von ihm gelesenen Klassiker mitzunehmen, auch wohl von Jeremias
Gotthelf, den er wegen seiner tiefgehenden Charakteristik besonders liebte und
dessen Lektüre er überall empfahl. Er gehört zu denen, die Klopstocks
"Messias" noch mit Würdigung seines Verdienstes gelesen haben, vermochte
durch Rückerts ganze Breite den Faden einer poetischen Stimmung festzuhalten
und erkannte Heines poetische Kraft, mit Widerstreben gegen die Verwendungsweise
dieser Kraft, an. Im Bereiche der bildenden Kunst versäumte er kein bedeutendes
Wert zu sehen, wozu sich die Gelegenheit bot, machte auf Reisen selbst Umwege
danach und suchte die Künstler in ihren Ateliers auf. Unter den neueren Malern
stellte er besonders Cornelius hoch, widmete der Ausführung der Fresken durch
Große im Leipziger Museum das lebhafteste Interesse und hielt selbst einen Vortrag
über ihre tiefere Deutung. Wenig empfänglich für die Reize der meisten neueren
Musik, abhold der Zukunftsmusik, fand er in den Symphonien Beethovens,
der geistlichen Musik Bachs, den Opern Mozarts den Gipfel der musikalischen
Kunst erstiegen, erfreute sich aber außer an den Aufführungen dieser großartigen
Werke auch eines schönen Liedes und der häuslichen musikalischen Ausübung seiner
Kinder. Ein ganz besonderes Interesse nahm er an den vorzüglicheren Darstellungen
der Schauspielkunst und versäumte nicht leicht ein bedeutendes Gastspiel; auch
las er selbst gern, wenn schon ohne glückliche Anlage zum Schauspieler, vor.
Mit der Schauspielerin Rettig trat er, ebenso durch das Spiel als die geistigen
und Charaktervorzüge dieser Frau angesprochen, in persönlichen und brieflichen
Verkehr, der bis zu ihrem Tode gedauert hat; und an der letzten Vollendung und
Herausgabe einer in Briefform an die noch Lebende gerichteten: Schrift, Beziehungen
zwischen Kunst und Religion behandelnd, wurde er nur durch den eigenen Tod gehindert.
Doch erscheint sie vielleicht noch als posthumes Werk.
Nicht minder als für Kunstgenuß war er für den Genuß einer schönen Natur empfänglich,
und namentlich suchte er die Punkte und Seiten derselben auf, welche einen malerischen
Charakter tragen und einer malerischen Darstellung fähig sind. Selbst wenig
scheinbare und beschränkte Ansichten, bei welchen andere achtlos vorübergingen,
vermochten ihn aus diesem Gesichtspunkte zu interessieren, und es konnte sogar
auf gemeinschaftlichen Reisen mit ihm unbequem werden, wenn er nach jedem Punkte,
von dem er eine lohnende Ansicht hoffte, einen Abstecher machte und sich von
Aussichten, die ihm gefielen, nicht leicht wieder zu trennen vermochte. Es trug
aber wesentlich zum Interesse und zur Frucht der mit ihm gemachten Reisen bei,
durch seine Aufmerksamkeit den eigenen Blick in dieser Richtung geschärft zu
finden. Übrigens war dieses nicht zu ermüdende Interesse an Naturschönheit ein
Zug, den er von seinem Vater geerbt und auf seine Kinder vererbt hat.
Aus philologisch-historischem Gesichtspunkte hat er sich besonders mit Homer,
Plato und Aristoteles eingehend beschäftigt.
Endlich auch an der Politik nahm er ein mehr als bloß allgemeines und oberflächliches
Interesse, indem er nicht nur dem großen Gange der Begebenheiten, sondern auch
den politischen Charakteren, Verhandlungen der Kammern und Leitartikeln der
Tagespresse mit steter Aufmerksamkeit, abwägendem Urteile und Vorblick nach
den Zielen folgte. Die Einheit Deutschlands wünschte er statt durch äußere zwingende
Obmacht eines Großstaates und unselbständiges Aufgehen der Kleinstaaten darin,
dadurch begründet, daß ein Großstaat durch liberale Vertretung und einheitliche
Förderung der allgemeinsten geistigen und materiellen Interessen Deutschlands,
wovon die Stiftung des Zollvereins schon das Beispiel gegeben, sich zur notwendigen
Spitze Deutschlands erhöbe; und es war seine Ansicht, daß es eine leider versäumte
Zeit gegeben, wo es dem Staate, der allein Anspruch auf eine solche Stellung
hatte, möglich war, sie in einer Weise einzunehmen, daß die Vorteile der Erhaltung
kleinerer selbständiger Centra dabei gewahrt blieben.
Vorstehende Übersicht von Weißes wissenschaftlicher Tätigkeit mag geeignet
sein, einen Begriff von der Universalität zu geben, mit welcher er sich auf
einem Gebiete bewegte, das die allgemeinsten und höchsten Gesichtspunkte und
Interessen, welche es für die Menschheit gibt, zum Hauptgegenstand hat, ohne
freilich einen Begriff von der Fülle seiner speziellen Leistungen darauf geben
zu könnten. Wie nun dies Gebiet das wichtigste ist, ist es aber auch das streitigste,
und so liegt es in der Natur der Sache, daß Weißes Streben auf demselben,
indem es anderen Richtungen entgegentrat, auch ihrem Gegensatz begegnete und
eine in diesem Gebiete überhaupt unmögliche, allgemeine Zustimmung nicht fand.
Ja, man kann vielleicht sagen, daß er solche mehr in dem engeren Kreise der
Schüler, die er persönlich zu interessieren wußte, als in weiteren Kreisen gefunden
hat. Der Verfasser selbst, verhältnismäßig mehr nach realistischer Seite neigend,
bekennt, in vielfachen Verhältnissen des Widerspruches nach formeller und sachlicher
Seite mit ihm gestanden zu haben; aber daß dieser Widerspruch ihn nicht hindert,
Weißes große Bedeutung in diesem Gebiete des Streites um die höchsten
menschlichen Interessen anzuerkennen, kann selbst mit zu den Beweisen dieser
Bedeutung gezählt werden. Schmerzlich vermißt der Verfasser die Anregung, die
er im Umgang mit ihm und in dem wissenschaftlichen Gegensatz gegen ihn gefunden
und zweifelt nicht, daß unter den Schülern, die in mehr positiver Weise von
seinen Ideen befruchtet sind, sich einer finden wird, der mit um so größerem
Gewicht Zeugnis davon ablegen wird.
Konnte Weißes wissenschaftliche Tätigkeit ihrer Natur nach dem Schicksale
nicht entgehen, je nach dem Standpunkte der Beurteiler verschieden geschätzt
zu werden, so hat hingegen sein unverbrüchlich auf das Edle und Rechte gestellter,
über jeden Zweifel erhabener, persönlicher Charakter ebensowenig verfehlen können,
einer einstimmigen Hochschätzung zu begegnen. Selbst seinen Gegnern in Ansichten
und amtlichen Verhältnissen hat er durch die Selbstlosigkeit, Überzeugungstreue,
Festigkeit, Geradheit, womit er das, was er für das Beste hielt, vertrat wie
durch die Gewissenhaftigkeit in Erfüllung seiner Amtspflichten ungeteilte Hochachtung
eingeflößt; um so mehr haben die, welche ihm nahestanden, Gelegenheit gehabt,
den edlen Grund seines Verhaltens im Leben im innersten Kern seines Wesens zu
erkennen. Nicht bloß aber an die Güte, auch an die Rüstigkeit, ja Tapferkeit
seines Wesens gilt es zu erinnern, eine Vereinigung, die der Lateiner mit dem
einzigen Worte virtus bezeichnet. Nie hat er sich
gescheut, vorkommenden Falls im Interesse der Sache einflußreichen Persönlichkeiten
und höheren Ortes beabsichtigten Maßregeln offen entgegenzutreten, ebenso aber
auch in einer Zeit, wo es radikalen Wühlereien gegenüber des Mutes bedurfte,
solchen durch öffentliche Erklärungen in einer Weise bewiesen, die nicht ohne
persönliche Gefahr war und selbst Bewunderung in aristokratischen Kreisen erweckte.
So umfangreich und weitverzweigt Weißes öffentliche Wirksamkeit durch
seinen Lehrerberuf und seine literarische Tätigkeit war, hielt ihr doch die
Wirksamkeit durch seinen Privatverkehr mindestens die Wage. Es gehörte zu seinen
vorstechendsten Zügen, der Geselligkeit und persönlicher Anknüpfungspunkte zu
bedürfen und solche zu suchen; aber er suchte und unterhielt sie vorzugsweise
nur teils mit geistig oder gemütlich bedeutenden, teils für die Aufnahme seiner
Ideen empfänglichen Persönlichkeiten. Der Kreis der Gelehrten, Künstler und
durch gesellige oder andere Eigenschaften ausgezeichneten Personen, mit denen
er persönlich bekannt war, die er auf seinen Reisen besuchte und von denen er
besucht ward, mit denen er Briefwechsel unterhielt, ist sehr ausgedehnt. Auch
liebte er besonders den geselligen Umgang mit begabten Frauen; und Frau von
Kalb, Bettina von Arnim und, wie schon erwähnt, die Schauspielerin Rettig gehörten
zu denen, mit denen er in speziellere Beziehung getreten ist. Da es ihm nie
an allgemeinen und eigentümlichen Gesichtspunkten fehlte, denen er die Vorkommnisse
der Literatur, der Kunst, der Politik usw., die an der Tagesordnung waren, unterordnete,
Vergleiche anzustellen liebte und die umfangreichste Belesenheit sowie ausgedehnteste
Personalkenntnis besaß, die er durch die Unterhaltung selbst immer mehr zu erweitern
suchte, so nahm das Gespräch mit ihm stets eine bedeutende Richtung, indes er
nicht geneigt war, auf Skurrilitäten, wie sie in heiteren Gesellschaften wohl
mitunter vorkommen, hinzugehen, und den Interessen einer leichtfertigen und
frivolen Jugend wie den Trivialitäten der gewöhnlichen Konversation zwischen
älteren Personen in der Unterhaltung wie im Leben gleich fremd blieb.
Hingegen hatte er ein ganz besonderes Talent und eine besondere Neigung, junge
Leute von ernsterer Richtung an sich heranzuziehen und in ein tieferes Interesse
an höheren Dingen einzuführen. Gewiß sind die ideellen Interessen bei unserer
Jugend mehr als billig abhanden gekommen; bei ihm fanden sie noch eine lebendige
Förderung, bei ihm nach eine Stätte. Abgesehen von seinen Vorlesungen, wußte
er dies Interesse dadurch zu erwecken und zu unterhalten, daß er Disputationen
und gesellschaftliche Übungen mit den jungen Leuten in Philosophie, Theologie,
Ästhetik und Philologie hielt und sein Haus selbst zum geselligen Versammlungsorte
derselben machte. Jeden Sonntag konnte man eine Elite seiner Zuhörer und anderer
junger Freunde bei ihm in zwangloser, doch niemals trivialer Unterhaltung mit
ihm, den Seinigen und untereinander finden. Sein Haus war eine Art Platonische
Akademie, der lange Baumgang auf seinem Landsitze, in dem er an Sommertagen
mit seinen Besuchern zu wandeln pflegte, eine peripatetische Halle im Sinne
der alten Philosophen. Nicht bloß von wissenschaftlicher Seite aber trat er
den jungen Leuten nahe; er ging auch mit Wohlwollen in die persönlichen Verhältnisse
derselben ein, ward ihr Berater, suchte sie auf ihrem Lebenswege zu fördern,
und so ist er mit vielen derselben in fortdauernder Verbindung geblieben, und
alle werden ihm ein dankbares Andenken bewahren.
Sein gesellschaftsbildendes Talent bewies er unter anderem auch darin, daß
er ein philosophisches Kränzchen stiftete und mehrere Jahre hauptsächlich durch
seinen Einfluß zusammenhielt, in welchem die entgegengesetztesten Richtungen
vertreten waren, indem, außer ihm selbst, Ahrens, Drobisch, Fechner, Hermann,
Lipsius, Seydel daran teilnahmen und in dem Austausche und gegenseitiger Bekämpfung
ihrer Ansichten sich vielmehr freundschaftlich als feindlich begegneten.
Liberalität und Wohlwollen waren überhaupt Grundzüge von Weißes Charakter.
Er übte eine Gastfreundschaft fast über seine Verhältnisse hinaus, erkannte
gern die vorteilhaften Seiten seiner Gegner an und hob in seinen Kritiken neben
dem Tadelnswerten immer das hervor, was er anzuerkennen fand. Aber er war auch
ein hartnäckiger Charakter, und was er einmal wollte, davon ließ er nicht so
leicht ab.
Ich schweige von dem unersetzlichen Verlust, welchen seine Familie und der
engere Kreis seiner Freunde durch seinen Tod erlitten.
Durchdrungen wie er war von dem Werte der von ihm vertretenen Ideen, empfänglich
für die Anerkennung dieses Wertes, in seinen jüngeren Jahren mit Mut und Hoffnung
auf den Sieg und die Ausbreitung der idealen Ideenwelt, die er geschaffen, bauend,
hat der nicht entsprechende Erfolg, den er in einer Welt von mehr materialistischer
und realistischer Richtung damit erzielte, nicht verfehlen können, in seinen
spätem Jahren mitunter seine Stimmung zu trüben; doch vertraute er, wie jeder,
der sich der geistigen Unvergänglichkeit bewußt ist, auf eine Gerechtigkeit,
die seinen Leistungen noch künftig werden würde, und ermüdete nicht. Noch in
den letzten Tagen vor seinem Tode äußerte er, daß ihm noch für zehn Jahre Arbeit
übrig bleibe.
Es war ihm nicht vergönnt, Rom und Athen zu sehen, was er immer als eine Lücke
empfunden hat; und es war wirklich eine Lücke für ihn, dessen Interessen und
Tendenzen zwischen der antiken und modernen Welt fast gleich geteilt waren.
Nun war der Entschluß zu einer Reise nach Rom endlich gefaßt, da hat das Geschick
ihn in eine höhere Welt entführt.
Friede der Asche dieses Gerechten und Ehre seinem Andenken!